Wolfram Siebeck: Frau Hoffmanns neue Erzählungen

Wolfram Siebeck
Frau Hoffmanns neue Erzählungen

Katzen

160 Seiten. Gebunden.
€ 9,95   €[A] 10,30   
ISBN: 978-3-89561-266-4

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Deutsch-französische Freundschaft:
Ein Katzensprung

»Ob es am Wetter liegt?«
»Ob was am Wetter liegt?«
»Daß ich so müde bin...«
»Das kann nur am Wetter liegen. Du hast dich ja überhaupt nicht angestrengt. Hast dich nicht rumgetrieben, bist keinen Baum raufgeklettert, hast keine Maus gejagt...«
»Pah! Als ob das anstrengend wäre. Ein Schlag mit der Pfote – und voilà!«
Sie ist jetzt schon viele Wochen in der Drôme, daher ihre Angewohnheit, französische Begriffe in ihr Miau einzuflechten.
»Ich glaube, ich vertrage das Klima nicht«, kommt Frau Hoffmann auf den Anfang ihrer Wortmeldung zurück. »Immer Mistral, und kein Regen. Das geht einem auf die Brekkies.«
»Wie wär’s mit einem Klimawechsel?« frage ich so beiläufig wie möglich.
Sie zuckt nervös mit dem Fell: »Du meinst – abreisen?«
Frau Hoffmann fürchtet sich nicht vor den Jagdhunden mit ihren Flöhen. Sie ignoriert Tiefflieger, Hornissen und Besucher. (»War das wieder ein Pöbel oder nur Verwandtschaft?« fragt sie, wenn die wieder verschwunden sind.) Aber Autofahren haßt sie über alles in der Welt. Sogar im Kleinwagen, in dem wir sie einmal im Jahr zum Veterinär bringen, stellt sie sich an wie der französische Adel auf dem Henkerskarren. Beim jährlichen Ortswechsel über 800 Kilometer Autobahn aber jammert und brüllt sie, daß es uns peinlich ist, wenn wir andere überholen. Manche Autofahrer haben einen Aufkleber am Auto: »Baby an Bord«. Ich habe jedoch noch nie ein Baby so schreien hören, wie Frau Hoffmann ihren Weltekel artikuliert. Man könnte glauben, sie imitiert deutsche Rock-Gruppen.
»Wie war das mit dem Klimawechsel? Heißt das...«
Ich gebe zu, sie hat Grund, mißtrauisch zu sein. »Sieh mal«, beginne ich vorsichtig, »jetzt beginnt hier der Herbst. Da wird es furchtbar langweilig für dich.«
»Langweilig ist es auch in Deutschland!«
»Vielleicht in diesem Herbst ausnahmsweise einmal nicht. Wir kriegen nämlich eine neue Regierung...«
Sie gähnt: »Ja. Steht täglich in den Zeitungen von gestern.«
Wenigstens kommt hier nicht auch das Fernsehen mit einem Tag Verspätung. Wir würden sonst über den Unterschied zwischen Brutto und Netto erst aufgeklärt, wenn sich in Deutschland kein Hund mehr dafür interessiert.
»Hast du gerade ›Hund‹ gedacht?« fragt sie mißtrauisch. Bei gewissen Themen kann sie Gedanken lesen. »Um Gottes willen, nein!« beschwichtige ich sie. »Ich dachte an Frau Merkel.«
Sie versammelt ihre Pfoten unter der Halskrause und rollt sich zum Schlafen zusammen. »Habe ich doch gesagt: furchtbar langweilig.«
Was wir in diesen Wochen nicht gebrauchen können, sind unpolitische Zeitgenossen. Frau Hoffmann besitzt zwar keinen deutschen Paß, hat aber ihren Anteil an der deutsch-französischen Freundschaft; sie ist in der Drôme geboren. Einmal brachte sie den Kanarienvogel des Bürgermeisters an. Er wohnt gleich nebenan und ist ein Anhänger Le Pens. Da haben wir diskutiert, welche Auswirkungen die EU auf die Zukunft des gelben Vogels haben würde. Frau Hoffmann hatte dabei für die freie Wahl des Arbeitsplatzes plädiert und sich gegen Einflugbeschränkungen für Kleingeflügel ausgesprochen. Der Kanari ist leider währenddessen verstorben.
Wer würde freiwillig auf einen so luziden Verstand verzichten, wenn es darum geht, eine neue Regierung zu installieren? Warnte nicht jemand, die Zukunft Deutschlands stehe auf dem Spiel? Da darf eine schlaue Katze nicht fehlen.
»Frau Hoffmann«, sage ich deshalb mit der mir zur Verfügung stehenden Autorität, »übermorgen fahren wir.«

Rezensionen

»ZEIT-Schmecker auf die Katze gekommen: Amüsante kleine Geschichten im Siebeck-Stil mit hübschen Pointen, die unangestrengt unterhalten.«
Richard Peter, Deister- und Weserzeitung