Mirko Bonné: Der eiskalte Himmel

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Mirko Bonné
Der eiskalte Himmel

Roman
Umschlagfoto von Frank Hurley

432 Seiten. Gebunden. Lesebändchen
€ 24,90   €[A] 25,60   
ISBN: 978-3-89561-401-9

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Einer, der von der Scholle rutscht und in das drei Grad kalte Wasserloch fällt, wo Käpt’n Worsley seine Tiefenlotung vornimmt, der weiß noch, was die Zeit ist, denn der spürt am eigenen Leib, wie furchtbar langsam sie vergeht. Vierzehn Tage brauchen die Klamotten, um zu trocknen.
Tagein, tagaus liege ich auf meiner sich allmählich auflösenden Matte im Zelt und klammere mich an das Buch. Im Halbkreis sitzen sie um mich herum, Clark, Hussey, Bakewell, schwarze, ausgemergelte und langhaarige Gestalten mit Zahnschmerzen und Frostbeulen. Sie erzählen sich Witze, denken sich Lieder aus und erfinden Kochrezepte, und diese Geisterspeisen, die unser Zelt zur Attraktion machen, so dass jeder einmal hereinschneit und einen Happen Wörter kostet, sie werden fetter, sahniger, süßer mit jedem Tag.
Kommt Vincent herein, heißt es schnell den Buchrücken zudecken, damit er nicht sieht, was ich lese. Dann nutze ich die Gelegenheit, um mir die Beine zu vertreten, stopfe das Buch in den Hosenbund und gehe vors Zelt. War sein Großvater wirklich dabei, als Käpt’n John Balleny, ohne es zu ahnen, die Durchfahrt zum Rossmeer und damit den einzig möglichen Zugang zum Pol entdeckte? Oder hast du gelogen, mein Bos’n? Ich setze mich auf die Futterkiste bei den Hunglus und lese weiter, bis mich Doktor Macklin auch von dort vertreibt.
»Buch gerettet, Merce? Entschuldige, aber die Würmer haben Kohldampf.«
Macks Gespann ist als Einziges übrig geblieben. Nachdem wir auch das Lager auf See abgebrochen haben und 15 Kilometer weiter nordwestlich über die Scholle gezogen sind, hat Wild an einem einzigen Nachmittag erst seine und dann auch Creans, Marstons und McIlroys Hunde erschossen. Und als Hurleys verbliebene sieben schließlich auch die letzten Dinge für uns aus dem Lager auf See in das neue »Lager der Geduld« geschleppt hatten, musste Wild sie ebenso hinter den Eishügel führen, 35 Hunde, für die kein Futter mehr da war und die nun uns als Futter dienen. Mager, zottelig und verfilzt sehen mich Macklins sechs Köter mit ihren großen fragenden Augen an.
Vincent kommt aus dem Zelt. Gesättigt von einer Phantompastete, schleppt er seinen Wanst voller Wind zu unserer kleinen Bootswerft hinüber. Dort ist sein Freund und väterlicher Tröster Chippy McNeish mit der Pfeife im Mundwinkel dabei, das Dingi zu kalfatern. Und dort lehnt sein Handlanger und Prügelknabe Stevenson an der aufgebockten DUDLEY DOCKER und schwingt seine Reden, denen nur der spindeldürre Schiffstiger zuhört. Mrs. Chippy aber kann es gleichgültig sein, wer sich großtut vor ihr, solange er nur einen Happen Robbe für sie hat. Ich warte, bis Vincent unter seinesgleichen ist, dann schlendere ich zurück zum Zelt und mache es John Balleny und mir bequem auf meiner Schmelzwassermatte.
Bakewell: »Kennt jemand von euch Donuts?«
Hussey: »Klar! Wo denkst du hin!«
Bakewell: »Sind ganz einfach zu machen. Ich mag sie am liebsten kalt und mit Erdbeermarmelade bestrichen.«
Wordie: »Erdbeermarmelade, nee, dazu hätte ich gern ein Omelett.«
Es ist ein gewöhnlicher Morgen im Lager der Geduld, dieser Morgen, an dem ich zum ersten Mal den Namen von Ballenys Schiffsjungen lese: Er hieß nicht Vincent, sondern, ausgerechnet, Smith, was aber noch nichts heißen will.

Doch es ist auch der Morgen, an dem für uns alle die Zeit stehen bleibt. An diesem 21. November 1915, dem 301. Tag, seit uns das Packeis vor Antarktikas Küste einschloss, sinkt die ENDURANCE.
Der Sommer ist zurück. Die Wärme lässt das Eis schmelzen, und wo seine dünn und dünner geriebenen Schollen zerbrechen, kommt lakritzschwarz das Wasser zum Vorschein. Seit Wochen hat Shackleton dem Moment entgegengefiebert, in dem die Eiszangen aufgehen und die Klammer, die unser Schiff zerdrückt hat, das Wrack loslässt. Als es so weit ist, steht er allein auf dem Turm, und sein gellender Ruf ist zugleich Klageschrei und Kommando, wir sollen alles stehen und liegen lassen, aus den Zelten kommen und nach Süden schauen.
»Sie sinkt! Sie sinkt!«
Also wieder hinaus. Ja, da ist sie noch. Hat das Heck aus dem Eis gehoben. Bug und Mittelschiff aber sind schon ganz unter Wasser und warten darauf, in die Tiefe fahren zu dürfen.
»Seht sie euch an.«
»Sie sinkt«, kommt es noch einmal von oben, und diesmal klingt es zufrieden, so wie am Totenbett einer sagt: »Gleich hat sie’s geschafft.«
Sir Ernest kommt die Leiter herab und stellt sich in unsere Mitte.
»Betet für sie«, sagt Alf Cheetham. »Sie hat uns beschützt wie eine Mutter, sie war ein gutes Schiff.«
»Ein gutes Schiff«, stimmt der Zimmermann ein, »weiß Gott, das war sie und das bleibt sie!«
Und wir lassen sie hochleben: »Hipp, hipp, hurra! Hipp, hipp, hurra!«
Das Heck in die Höhe gereckt, hält sie lange inne, so als wolle sie uns Gelegenheit geben, dieses letzte Bild von ihr auszukosten und für immer in Erinnerung zu behalten.
»Halt aus!«, möchte man ihr zurufen, denn sie ist am Ertrinken.
Ein Wimpernschlag, und weg ist sie, wie ein Kind auf der Rutsche in die Tiefe gesaust. Ein Aufschrei läuft durch unsere Reihen, während dort drüben, kilometerweit weg zwischen den Graten, nichts mehr ist und während ich nicht anders kann, als mir das Wrack vorzustellen, das unter uns in die schwarze Tiefe gleitet.
Mach’s gut, ENDURANCE.
Brasst rund die Rahen!

Rezensionen

»Das perfekte Buch, um aus der Welt zu fallen (...) ein verdammt großes Glück.«
Brigitte

»Bonné hat aus den historischen Fakten und dem wüsten Klima einen Abenteuerroman gemacht, in dem der Schnee nur so von den Eisbergen donnert. Erbarmungslos.«
Sandra Kerschbaumer, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Subtil beobachtet. Hinter der fesselnd erzählten Eis-Reise verbirgt sich auch ein Essay über die Zeit.«
Michael Braun, Neue Zürcher Zeitung

»Mit sehr viel Humor, wunderschönen Bildern und ohne einen Absatz Langeweile. Bonné wirkt einen reißfesten Stoff um wahre Begebenheiten und authentische Figuren - ein Meisterstück.«
STERN

»Ein saftiger historischer Abenteuerroman, der beweist: Bücher können Leben retten.«
Andreas Manasse, Welt

»Kongenial Bonnés unbekümmert-fröhlicher Grundton und sein ruhiger und sprachsicherer Rhythmus; ein Buch, in das man sich verlieben kann: lesen.«
Lutz Bunk, Deutschlandradio

»Eine groß angelegte und wunderbar ruhig erzählte Parabel über Ehrgeiz und Scheitern, über den Menschen in seiner Verlorenheit und in seiner Größe.«
Claus-Ulrich Bielefeld, Tages-Anzeiger

»Buch der Woche: Mirko Bonné ist ein spannender, fast dokumentarischer Abenteuerroman gelungen - und er berichtet, zu welcher Größe Menschen in Extremsituationen fähig sein können.«
Alexander von Sallwitz, NDR

»Spannungsreich erzählt, ist Der eiskalte Himmel die Geschichte eines grandiosen Scheiterns.«
Gala

»Wie in trägem Eiswasser treibend, überlasst man sich genüsslich den Geschichten.«
Kölnische Rundschau

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