Ludwig Meidner: Verteidigung des Rollmopses

Ludwig Meidner
Verteidigung des Rollmopses

Gesammelte Feuilletons 1927-1932
Herausgegeben von Michael Assmann

240 Seiten. Gebunden.
€ 19,90   €[A] 20,50   
ISBN: 978-3-89561-152-0

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Es ist kein Wunder, daß unser Vaterland, welches im Laufe eines Jahrtausends, neben seinen großen und ewigen Werken, so viele kuriose und schnurrige Erscheinungen hervorgebracht hat, sonderbare Käuze und Eigenbrötler oder Erfinder und Bastler der wunderlichsten Sorte, auch einem so komischen Machwerk das Leben geschenkt hat, wie es der Rollmops ist. Und obwohl man hier von Leben nicht recht sprechen kann, weil das Ding, das halb tierischer, halb pflanzlicher Herkunft ist, halb Amphibium, halb barocker Schnörkel, niemals wirklich lebendig ist, möchte man es doch wie ein lebendiges Tier ansprechen, denn es hat in Wesen, Figur und Farbe so deutliche und markante Züge, daß mans, bei inniger Betrachtung, förmlich anreden möchte und sich ein bißchen wundert, wenn es gar so mäuschenstill ist und nicht plötzlich einen Freudensprung tut. Wann, wo und mit wessen Hilfe der Rollmops erfunden ward, kann der Verfasser nicht mitteilen, doch der Rollmops ist, wie erwähnt, eine deutsche Schöpfung, bei uns ist er heimisch worden und von uns aus trat er seinen bescheidenen Siegeszug in viele Länder der Erde an, und sogar die Franzosen, die sich allem Fremden gegenüber so spröde verhalten, haben den Rollmops in ihre Küche aufgenommen und in ihr Dictionaire. Sollte es aber noch welche geben unter uns, die nicht wissen, wie man diesen Leckerbissen herstellt, so sei ihnen kurz verraten, daß sie gut ausgewässerte und entgrätete Heringe den Rücken entlang spalten und in zwei Teile zerreißen müssen, die innere Seite mit geriebenen Zwiebeln und Senfkörnern bestreichen und um ein Stück Pfeffer- oder Senfgurke fest aufrollen.
Damit aber dieses Werk zusammenhält, treibt man einen dünnen Holzpflock mitten durch das Ganze, ähnlich wie man früher Leichenschänder und dergleichen Missetätern einen Pfahl durch den Leib bohrte, um, zartfühlend wie jene Tage waren, mit diesem Souvenier ins Jenseits zu schicken. Unsern Freund jedoch mißhandelt man nicht so, sondern, um ihm Würze zu verleihen, bereiten wir eine Marinade, wie sie zum Marinieren der Heringe vorgeschrieben ist und dort hinein kommt der trockene Gesell, bleibt aber nicht allzulange, denn kaum hat er sich, vermöge der Beize, zu einem fertigen Rollmops gewandelt und sich in der Wanne ein wenig auf seinen (wörtlich) Lorbeeren ausgeruht, dann steht ihm auch schon eine standesgemäße Beerdigung bevor, im Magen eines normalen Staatsbürgers von der SPD oder Wirtschaftspartei, denn vorzüglich diesen Parteien mundet unser Freund, und wenn ihn die anderen Parteien ebenfalls gern haben, so ist das geradezu eine versöhnende Macht, die von ihm ausgeht.
Vor zwanzig Jahren, in Schlesien, kannte ich ein paar Zwillingsschwestern, ältere Mädchen, alleinstehend, doch in aller Ehrbarkeit, die damals noch was galt - die kauften sich häufig einen Rollmops, aus reiner Genäschigkeit und wegen des Sauren, und die eine aß dann immer den aufgerollten Hering und die andere das Innere, die Gurke. Sie zankten sich nie darum, denn sie lebten wie die Turteltäubchen und ich erwähne dieses Paar, um dazutun, welch friedliche und versöhnliche Stimmung von solch einer Delikatesse ausgeht. Das Besondere, Spezifische und Auszeichnende ist aber nicht das Friedliche, sondern das Saure und darüber, nicht nur über das Süße, gibts viele Sentenzen im Schrifttum der Völker. »Es letzet nicht, erwärmet nicht und nährt nicht«, sagt Jakob Böhme, und er meinte das Saure damit. »Das Saure ist eine Frucht der Erbsünde, schreibt Fénelon, und »weh uns, wenn uns jenes verloren ginge!« fügt Nietzsche hinzu. Was aber die Idee der Erbsünde betrifft, so könnte die von Mussolini postulliert sein, denn der braucht sie, um den Leuten einzubläuen, daß sie grundschlecht wären und sein scharfes Regiment mit Fug und recht verdienten - wir aber möchten dieses Thema beiseite lassen und lieber vom Idealismus reden, den man einbüßt, wenn man in die Jahre kommt.
So ist es mir schon passiert, daß ich einmal, als ich auf einem Tisch einen Teller mit sauren Sachen vorfand und gleichzeitig einen dicken, dogmatischen Wälzer über die Erbsünde und dergleichen, gar nicht lange fackelte und nach den Rollmöpsen griff, wo ich doch früher vermutlich mich erst stundenlang über den Wälzer hergemacht haben würde. Die Fragen der Weltanschauung bewegen uns Glatzköpfe nicht mehr so sehr, und als ich einmal zugegen war, wie unsere Köchin, übrigens eine Anhängerin der Mormonensekte, Rollmöpse einlegte und dazu viele unpassende Verse aus dem Buche Mormon zum Besten gab, wies ich sie unwirsch zurecht, daß ich dergleichen nicht wissen wolle, denn diese Rollmöpse, wie sie dalägen in ihrer gleißenden Herrlichkeit, böten mir weitreichendere Aspekte, denen gegenüber das Buch Mormon, in seiner kurzatmigen Epigonenhaftigkeit, nimmer bestehen könnte.
Ein andermal ging es mir so, daß ich Sonntags, an einem See entlang spazierend, eines Händlers ansichtig war, der meine lieben, sauren Freunde in einer geräumigen Wanne feilbot, und Rollmöpse sehen und sie nicht an mich bringen, das ist nicht die Art eines Genüßlings, der ich bin seit frühesten Tagen. Doch ich hatte hier Grund, den Rollmöpsen nicht zu trauen; ich kämpfte einen kurzen, aber schweren Kampf, bezwang mich und kaufte sie nicht. Das trug sich zu bei einem sonderbaren Platz, in Woltersdorfer Schleuse, wo sich des Hofmalers, Professor Fischer, einzigartige Besitzung türmt und drum ließ ich mich dort eine Weile nieder und genoß die wundervolle Stimmung - noch lange werde ich daran denken, wie ich Herr ward über meine Gelüste und wie kräftigend solche Gewissenskonflikte immer sind für den sittlichen Organismus. Die Kriege sind die Lokomotiven der Revolution, sagt Karl Marx; der Rollmops aber ist das friedlichste Tier, auch wenn er noch unfertig als Schottenhering in der Tonne ruht und er bleibt friedlich noch im Magen seines Vertilgers, es sei denn, daß der nach seinem Genuß noch etliche Gläser Buttermilch, eine Flasche jungen Obstwein, viel Schlagsahme mit Erdbeeren und sehr fetten Schweinebraten zu sich nimmt.
In diesem Fall macht auch der Rollmops Krieg und Revolution und dazu hat er keine Lokomotive nötig, sondern vermöge seiner Rundheit rollt er wieder aus dem Magen heraus. Der eben erwähnte Karl Marx dem man einmal Rollmöpse auftischte, soll, sie ablehnend, ausgerufen haben: hinweg, hinweg! die es sauer haben, sind genug auf der Welt! Dagegen war Fürst Bismarck, sein Widerpart, bekanntlich ein leidenschaftlicher Liebhaber aller Heringssachen und als man ursprünglich, ehe man auf den Bismarckhering verfiel, den Rollhering nach dem Kanzler benennen wollte, wehrte der heftig ab, er sei ein gerader deutscher Mann, das Zusammengerollte, Geduckte eigne eher einem Römling. Hiermit aber übertrieb, ohne Zweifel, der eiserne Kanzler, denn die Gläubigen sind gerade diejenigen, welche gerade stehen und der Vatikan ist überdies viel weitherziger, hat zwar den Nietzsche und Marx, aber nicht das Rollmopsessen auf den Index gesetzt - wo es doch Religionen gibt, die allerhand schmackhafte Sachen verbieten.
Aber dies will ich nicht mitteilen, sondern ein Vorkommnis bei einer naiven Dame, die mir eines Abends, nachdem ich zu Hause drei Rollmöpse verspeist hatte, eine soeben fertig gewordene, sehr kindliche und dabei sehr traurige Novelle vorlesen wollte, als ich mich auf meinem Sessel unter der Widerspenstigkeit der vertilgten Lieblinge winden tat, daß die naive Dame den Eindruck haben mußte, dies Grimmen wäre der Effekt ihrer tragischen Erzählung. Sie war darob so gerührt, daß sie mir kurz darauf einen Porträtauftrag erteilte und dieser Auftrag zog einige andere Aufträge nach sich, daß ich allmählich zum Maler der guten Gesellschaft aufrückte - natürlich nicht der wirklich guten, sagen wir, eher jener, die etwas unter der mittleren liegt, sogar einen ganzen Batzen unter der mittleren und wenn man diese Schicht »kleine Leute« nennt, so hat man den richtigen Ausdruck, kurz - von einem Manne, der ein Bohemeleben führte und Rollmöpse für sein Leben gern ißt, kann man füglich nicht erwarten, daß er zum Lieblingsmaler der wirklich feinen Leute avanciert und erst recht nicht, daß er sich den Rollmops abgewöhnt, weil er einmal nach seinem Genuß ein bißchen gezwickt wurde. Nicht immer jedoch hat das Rollmopsessen derartig wohltätige Folgen gezeitigt, wie, damals bei der literarischen Dame. In Spartakustagen, als ich nach Berlin zurückkam und gerad im Zentrum in einem Wirtshaus einkehrte, ging auf einmal eine Schießerei los. Ich ließ mich nicht stören und bestellte Bier und einen Rollmops, und als es immer toller wurde, stürmte plötzlich ein Zug Soldaten herein.«Sie haben geschossen!« schrie mich der Leutnant an. »Ich esse ja einen Rollmops«, sagte ich schüchtern, und als mich die Musketiere abführen wollten, beteuerte ich immer wieder, daß ich doch nur einen Rollmops essen täte, »habe noch den Mund voll davon«, flehte ich verängstet und zum Beweis öffnete ich sperrangelweit das Maul. »Laßt ihn, den Schieber!« wehrte der Anführer seinen Leuten und stürmte davon - fast hätte es mich den Kopf gekostet.
So können Gourments durch ihre Genußsucht in Gefahr kommen - aber so ein Rollmops ist auch gar zu schön, eine Augenweide und ästhetische Ergötzung und ich begreife nicht, daß ihn die Maler noch nicht vor ihre Palette nahmen, namentlich Slevogt nicht, der schon Bücklinge und Sprotten mit seiner nervösen Handschrift gemalt hat. Ich selber baute zwar schon öfter Rollmopsstilleben auf - aber konnte ichs denn abmalen, so ein unbeherrschter Epigone wie ich bin! denn jedesmal wenn ich mich anschickte, lief mir wässrig im Munde zusammen, ich ward happig danach und schnabulierte im Nu die ganze Herrlichkeit. Was sollen uns auch abgemalte Rollmöpse und die ganze Stillebenmalerei! unser Zeitalter hat andere Sorgen und viel zeitgemäßer wärs, man photographierte so einen Rollmops oder filmte ihn und einen solchen, den man durch einen inneren Mechanismus dazu bringen kann, daß er sich bewegt und auf dem Tisch, von Teller zu Teller herumläuft. Eines meiner früheren Modelle, ein junges Ding, namens Tanja, konnte stundenlang Spengler, Scheler und Edgar Dacqué lesen, ohne ein Wort davon zu verstehen; sie vertilgte aber auch Rollmöpse, mit besserem Verständnis, und tat viele Sprüche über die verschiedenen Sorten, die Acht-Pfenniger und die Fünfzehn-Pfenniger.
Was aber soll ich am Ende noch sagen zur Verherrlichung unseres Freundes! Denn ein Feuilleton ist leider nur ein kurzer Spaziergang, man kann dabei sein Herz nicht immer ausschütten, wie man gern möchte und wer will hier behaupten, daß unser Gegenstand nicht würdig genug sei! Ist er auch nicht umrauscht von Ewigkeit, sondern ein gar zeitliches, allzu leicht befundenes Ding, in seiner schillernden, nordseefarbenen Haut, und hat er auch keine Seele, sondern nur ein Stück Gurke, dort, wo die lebendigen Kreaturen gewöhnlich das Herz haben, so gilt er dennoch etwas und ist gern gesehen bei denen, die nicht auf den Höhen des Lebens wandeln; und was das anlangt, so müßt ihr Großen, Großbürger und Bourgeois uns Kleinen schon auch eine Freude gönnen, ob ihr gleich meint, daß alle Freuden des Daseins nur euch zukommen. Wir sagen zuweilen in platter Redeweise »wir mopsen uns«, wenn wir meinen, daß wir uns langweilen; doch nimmermehr dürften wir sagen«wir rollmopsen uns«, denn mit Begriff des Rollmopses ist stets Kurzweil, Heiterkeit oder Wohlbehagen verknüpft.

Rezensionen

»Mit diabolischer Freude schildert er skurrile Alltäglichkeiten, oder er feuilletonisiert über die Sehnsucht nach Gänsebraten und die Konsequenzen eines Rollmops-Essens. Eine überzeugende Auswahl.«
Arnd Rühle, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Eine schöne Entdeckung.«
Journal Frankfurt